KündigungSchwerbehinderungProbezeitkündigung von Schwerbehinderten

26. Februar 20250
 – oft unwirksam und diskriminierend – 

Bislang galt in Deutschland die vom Bundesarbeitsgericht unterstütze Praxis deutscher Arbeitgeber, schwerbehinderte Beschäftigte und ihnen Gleichgestellte innerhalb der Probezeit ohne Grund kündigen zu können (BAG 21.4.2016 – 8 AZR 402/14, NZA 2016,1131). Da der Arbeitgeber in einem solchen Fall auch das Integrationsamt nicht um Zustimmung bitten muss (das Sozialgesetzbuch IX ist hier eindeutig), hatten es die Arbeitgeber innerhalb der ersten 6 Monate besonders leicht, sich von schwerbehinderten Beschäftigten zu trennen.

Arbeitgeber konnten bisher – genauso wie bei nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer*innen – innerhalb der ersten 6 Monate nach dem Kündigungsschutzgesetz ohne einen Kündigungsgrund und lediglich mit einer Frist von zwei Wochen das Arbeitsverhältnis einseitig beenden. Kündigungsschutzklagen versprachen wenig Aussicht auf Erfolg.

Nachdem aber der EuGH im Februar 2022 die deutsche Praxis als einen Verstoß gegen Art. 5 der Europäischen Richtlinie „RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ einstufte (EuGH Urt. v. 10.2.2022 – C-485/20 , NZA 2022, 335, 336), haben sich nun auch mehrere deutsche  Instanzgerichte der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen und explizit gegen die Rechtsprechung des BAG geurteilt.

Sowohl das Arbeitsgericht Köln (ArbG Köln Urt. v. 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23, BeckRS 2023, 40339) als auch das Arbeitsgericht Freiburg (ArbG Freiburg Urt. v. 4.6.2024– 2 Ca 51/24, BeckRS 2024, 19432) hatten Sachverhalte zu entscheiden, in denen einer schwerbehinderten Person noch während ihrer Probezeit gekündigt wurde. Gerügt wurde das Fehlen des sog. Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX.


Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist weitgehend unbekannt

Während § 167 Abs. 2 SGB IX bei Beschäftigten und Arbeitgebern inzwischen einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat (hier ist das sogenannte betriebliche Eingliederungsmanagement – BEM-Verfahren – geregelt), führt § 167 Abs. 1SGB IX ein Schattendasein. Die wenigsten Arbeitgeber – und bislang auch Arbeitsgerichte) wissen, dass hier bedeutende Pflichten des Arbeitgebers geregelt sind.

  • 167 Abs. 1 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten von schwerbehinderten Beschäftigten und ihnen Gleichgestellte im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt einzuschalten, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Dies gilt auch für Beschäftigte in Kleinbetrieben und insbesondere auch bereits während der 6-monatigen Wartezeit (häufig bekannt als Probezeit).

Der EuGH sowie die Arbeitsgerichte Köln und Freiburg haben nun in der Nichtdurchführung eines solchen Präventionsverfahrens sowohl die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Kündigungen als auch eine Diskriminierung von schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Beschäftigten erkannt. Die Gerichte haben klargestellt, dass auch während der Probezeit das Präventionsverfahren durchgeführt werden muss, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Darüber hinaus wurde betont, dass auch die Versagung angemessener Vorkehrungen (insbesondere der Einsatz des schwerbehinderten Beschäftigten nach seinen Fähigkeiten und unter Berücksichtigung seiner Schwerbehinderung) einen Verstoß gegen das europäische Diskriminierungsverbot darstellt.

Bislang haben nur einzelne Instanzgerichte die Bedeutung und Reichweite dieser EuGH-Entscheidung erkannt. Es bleibt daher spannend, wie die höheren Instanzen sich hierzu verhalten.

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